(Letzte Aktualisierung: 28.05.2021)
(1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder – soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält – wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde.
(2) Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.
(3) Jede angeklagte Person hat mindestens folgende Rechte:
a) innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden;
b) ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben;
c) sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;
d) Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten;
e) unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht.
Art. 6 EMRK sichert das Recht auf ein faires Verfahren. Er verpflichtet die Mitgliedsstaaten zur Einhaltung menschenrechtlicher Mindeststandards in allen Gerichtsbarkeiten. Aus diesem Grunde kann man sich praktisch in jedem Gerichtsverfahren darauf berufen.
Bei Artikel 6 der EMRK handelt es sich wohl um das wichtigste Menschenrecht. Mehr als jede dritte Beschwerde zum EGMR dreht sich um diese Rechte. Daher gibt es auch eine sehr detaillierte Rechtsprechung zu dieser Thematik.
Ergänzend haben wir daher eine Sammlung von Fragen und Antworten zu Art. 6 EMRK zusammengestellt.
Rechte des Beteiligten in einem Gerichtsverfahren
Dabei sind die in Art. 6 EMRK kodifizierten Rechte sehr umfassend. Sie drehen sich um die Stellung des Bürgers in gerichtlichen Verfahren, verbürgen also gewisse Prozessrecht. Absatz 1 spricht von zivilrechtlichen und strafrechtlichen Verfahren, ist aber nach ganz herrschender Meinung ebenso auf fast alle Verwaltungsverfahren anwendbar.
Die genannten Rechte sind die folgenden:
- Zugang zu einem Gericht
- unabhängiges Gericht
- gesetzlich vorgesehenes Gericht
- faires Verfahren (im engeren Sinne)
- öffentliche Verhandlung
- schnelles Verfahren
- öffentliche Urteilsverkündung
Urteil alleine kein EMRK-Verstoß
Diese Rechte müssen allerdings stets im Rahmen des Gesamtverfahrens betrachtet werden. Die Feinheiten müssen der erwähnt ausufernden Rechtsprechung entnommen und auf die Spezifika des Einzelfalls angepasst werden.
Insgesamt muss aber beachtet werden, dass das Ergebnis des Verfahrens als solches, also der Urteilsspruch meist keine Rechtsverletzung darstellt. Eine EMRK-Beschwerde wegen Verletzung des fairen Verfahrens ist also nicht schon dann begründet, wenn man das Urteil für falsch oder für unfair hält. Vielmehr muss genau dargelegt werden, welche Verstöße das Gericht auf dem Weg zum Urteil begangen hat.
Gesamtbetrachtung des Verfahrens notwendig
Im Verfahren muss oftmals eine Gesamtbetrachtung angestellt werden. Unfair war das Verfahren dann, wenn einer der Beteiligten keine oder nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten hatte, auf die Entscheidung des Gerichts einzuwirken. Häufig verwendet man insoweit den Begriff der „prozessualen Waffengleichheit“: Beide Seiten müssen gleichberechtigt gewesen sein und ihre Argumente und Beweismittel haben vorbringen können.
Grundsätzlich kann eine Verletzung von Verfahrensvorschriften an anderer Stelle ausgeglichen werden. Wenn bspw. ein Betroffener im Verwaltungsverfahren nicht durch die Behörde angehört wurde, kann das im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens meist nachgeholt werden. Häufig wird auch verlangt, dass man sich selbständig darum bemüht, seine Rechte durchzusetzen.
Gerade diese Überprüfung verlangt meist intensive Kenntnisse und Erfahrungen mit EMRK-Beschwerden. Nur so kann der Rechtsanwalt wirklich feststellen, ob eine Menschenrechtsbeschwerde erfolgversprechend sein könnte.
Besondere Rechte im Strafverfahren
In den Absätzen 2 und 3 geht es um Sonderrechte des Angeklagten im Strafprozess. Die Notwendigkeit dafür ergibt sich daraus, dass in einem Strafverfahren in aller Regel viel auf dem Spiel steht. Wenn jemandem ein Fehlverhalten, sogar eine Handlung zur Last gelegt wird, dann muss er die Möglichkeit haben, seine Sicht der Dinge darzustellen und Verdachtsmomente darzulegen oder Gegenbeweise zu führen.
Außerdem entscheiden in einem Strafverfahren staatliche Gerichte über die Anklage einer staatlichen Behörde, nämlich der Staatsanwaltschaft. Damit der Staat hier die Entscheidung über Schuld und Unschuld nicht unter sich ausmacht, braucht der Angeklagte weitgehende Rechte, sich zu verteidigen.
Dazu gehören:
- Unschuldsvermutung
- Unterrichtung über die Beschuldigung
- Vorbereitung der Verteidigung
- Verteidigung, auch durch einen Anwalt
- Benennung und Befragung von Zeugen
- Dolmetscher
Die genaue Umsetzung dieser Rechte obliegt dann den nationalen Gesetzen. In vielen Fällen kommt es vor allem darauf an, ob diese Rechte auch in „angemessener“ Weise gewährt wurden, was wiederum von der Anwendung auf das konkrete Verfahren ankommt.
Bei einem Strafurteil muss grundsätzlich überprüft werden, ob die Verteidigung des Angeklagten wirklich effektiv und umfassend möglich war. Auch insoweit ist aber eine gewisse Eigeninitiative der Angeklagten und seines Rechtsanwalts zu fordern. Wenn Anträge nicht gestellt, Einsprüche nicht erhoben oder andere prozessuale Initiativen nicht ergriffen wurden, ist dies meist nicht dem Gericht anzulasten.
Mehr dazu:
- anwalt.de: Artikel 6 EMRK – die umfassende Garantie des fairen Verfahrens
- Urteile des EGMR zu Artikel 6 der EMRK